Von Luthers Umgang mit der Pest lernen (2)
Von Luthers Umgang mit der Pest schrieb ich über einen Brief von 1516. In diesem Artikel will ich euch drei herausfordernde Gedanken aus dem Brief Luthers zu seinem Umgang mit der Pest von 1527 vorstellen.
„Ob man vor dem Sterben fliehen möge“ Luthers Brief 1527
Martin Luther schreibt 1527 einen Brief anlässlich der Frage, ob man vor der Pest fliehen darf. Denn 1525 wütete in Breslau die Pest und die Privilegierten und alle die fliehen konnten verließen die Stadt. So entstand auch unter den evangelischen Christen die Frage, ob es vor Gott verantwortlich sei, dies zu tun, wenn es möglich sei. Für Luther wurde es eine sehr persönliche Frage, weil viele Menschen in seinen Armen und sogar seine Tochter an der Pest starben. Der Brief wird auch als Schrift „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“ veröffentlicht.
In diesem Brief, den man hier zum Beispiel ganz lesen kann (Lesezeit ca. 1h), können wir einiges für den generellen Umgang mit Leid und einiges im speziellen Umgang mit Pandemien lernen.
Ich versuche hier ein paar wichtige Punkte zusammen zu fassen:
1. Luthers Umgang mit der Pest: Sie ist eine Strafe Gottes
Luther geht ganz selbstverständlich davon aus, dass alles Unglück und Leiden eine gewisse Form von Gottes Strafe ist.
Aufs erste bestehen etliche fest darauf, man dürfe und solle nicht in Sterbenszeiten fliehen, sondern, weil das Sterben eine Strafe Gottes ist, uns um unserer Sünde willen zugeschickt, solle man Gott stille halten und die Strafe geduldig in rechtem, festem Glauben erwarten. (…) Die ersten weiß ich ihrer guten Absicht halber nicht zu tadeln.
(…) erstens damit, dass wir gewiss sind, es sei Gottes Strafe, uns zugeschickt, nicht allein um die Sünde zu strafen, sondern auch um unsern Glauben und Liebe zu versuchen.
Ich weiß, dass sehr viele Christen heutzutage ein Problem mit der Rede von der Strafe Gottes haben. Sie kennen ihre Bibel einfach nicht. Sie hören immer nur vom lieben Gott und beachten nicht, dass die Bibel vom Anfang bis zum Ende voll vom strafenden Gott ist: Gott bestraft Adam und Eva. Er hat die Welt in der Sintflut untergehen lassen, ganze Völker vertilgt oder auch Hananias und Saphira getötet, weil sie gelogen haben. Jesus droht z.B. den Gemeinden an die Johannes schreiben soll, mit harten Konsequenzen = Strafen (Offb 2,5.16.22-23; 3,3.16)
Alles Leid dieser Welt ist letztlich die Folge der Sünde der Menschen! Gott hat in seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit das Recht diese Welt zu strafen. Und damit ist letztlich alles Leid in gewisser Hinsicht Strafe Gottes.
Natürlich ist Gott damit nicht selbst böse. Auch Luther glaubt an die Zulassung Gottes und sieht den Teufel hinter der „Pestilenz“ am Wirken.
2. Luthers Umgang mit der Pest: Die Verantwortung zum Nächsten
Luther macht unmissverständlich deutlich, dass Pastoren, Älteste, Seelsorger und andere Verantwortliche der Gemeinde auch bei der Pest für die Fürsorge ihrer Schäfchen verantwortlich sind.
Sind sind „auch schuldig, in Sterbens- und Todesnöten zu stehen und zu bleiben. Denn da steht ein öffentlicher Befehl Christi (Johannes 10, 12): »Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe; der Mietling aber sieht den Wolf kommen und flieht.« Denn im Sterben bedarf man des geistlichen Amtes am allerhöchsten, das da mit Gottes Wort und Sakrament die Gewissen stärke und tröste, den Tod im Glauben zu überwinden.“ Sie sind nur von ihrer Pflicht entbunden, wenn es genügend Verantwortliche gibt, die da bleiben und für die Menschen sorgen.
Genauso ist es auch in anderen Verantwortungsbereichen, wie bei der Arbeit oder in der Familie:
„Denn es ist eine sehr große Sünde, eine ganze Gemeinde, die jemand zu versehen befohlen ist, so ohne Haupt und Regiment sitzen zu lassen, in aller Gefahr, als da ist Feuer, Mörder, Aufruhr und allerlei Unfall, den der Teufel zurichten möchte, weil keine Ordnung da ist. Und Paulus sagt 1. Timotheus 5, 8: »Wenn jemand die Seinen nicht versorgt, der hat den Glauben verleugnet und ist ärger als ein Heide.«“
Dies wendet Luther nicht nur auf die Flucht, sondern auch auf die Pflege der Erkrankten an:
Hat Christus sein Blut für mich vergossen und sich um meinetwillen in den Tod gegeben, warum sollt ich mich nicht auch um seinetwillen in eine kleine Gefahr begeben und eine ohnmächtige Pestilenz nicht anzusehen wagen? Kannst du schrecken, so kann mein Christus stärken; kannst du töten, so kann Christus Leben geben; hast du Gift im Maul, Christus hat noch viel mehr Arznei. Sollte mein lieber Christus mit seinem Gebot, mit seiner Wohltat und allem Trost nicht mehr in meinem Geist gelten, als du leidiger Teufel mit deinem falschen Schrecken in meinem schwachen Fleisch? Das wolle Gott nimmermehr. Hebe dich, Teufel, hinter mich. Hier ist Christus, und ich bin sein Diener in diesem Werke; der soll’s walten! Amen.
Gehen wir unserer Verantwortung auch in Gefahr nach? Luther empfiehlt Jesus in den Kranken zu sehen. Ihm würden wir doch helfen wollen (vgl. Matthäus 25,40), oder? Luthers Antwort auf die Eingangsfrage ist also klar:
Darum, liebe Freunde, laßt uns nicht so verzagt sein und unsere Leute, denen wir verpflichtet sind, nicht so verlassen und vor des Teufels Schrecken so schändlich fliehen, daran er Freude und Spott und Gott ohne Zweifel samt allen Engeln Unwillen und Unlust über uns hat. Denn das wird gewiß wiederum wahr sein: Wer solche reichen Verheißungen und Gebote Gottes verachtet und die Seinen in Nöten verläßt, der wird an allen Geboten Gottes schuldig und wird als Mörder an seinem verlassenen Nächsten beurteilt werden.
3. Luthers Umgang mit der Pest: Verantwortlicher Umgang mit der Gefahr
Aber der Glaube ist für Luther kein Grund leichtfertig mit der Gefahr umzugehen! Es gab und gibt auch heute solche unbelehrbaren Gläubige, die Gott versuchen. Mancher Christ handelt leichtfertig und meint, es würde sowieso so kommen, wie es soll!
Nicht so, meine lieben Freunde, das ist nicht fein getan. Sondern brauche die Arznei, nimm zu dir, was dir helfen kann, räuchere Haus, Hof und Gasse, meide auch Personen und Stätten, da dein Nächster dein nicht bedarf oder genesen ist, und stelle dich als einer, der ein allgemeines Feuer gern dämpfen helfen wollte. Denn was ist die Pestilenz anders als ein Feuer, das nicht Holz und Stroh, sondern Leib und Leben auffrisst?
Und denke so: Wohlan, der Feind hat uns durch Gottes Verhängnis Gift und tödliche Krankheit herein geschickt, so will ich zu Gott bitten, dass er uns gnädig sei und wehre. Danach will ich auch räuchern, die Luft reinigen helfen, Arznei geben und nehmen. Orte und Personen meiden, da man meiner nicht bedarf, auf dass ich mich selbst nicht verwahrlose und dazu durch mich vielleicht viele andere vergiften und anstecken und ihnen so durch meine Nachlässigkeit Ursache des Todes sein möchte. Will mich indes mein Gott haben, so wird er mich wohl finden, so habe ich doch getan, was er mir zu tun gegeben hat, und bin weder an meinem eigenen noch an anderer Menschen Tode schuldig. Wo aber mein Nächster mein bedarf, will ich weder Orte noch Personen meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen, wie oben gesagt ist.
Siehe, das ist ein rechter, gottesfürchtiger Glaube, der nicht dummkühn noch frech ist und auch Gott nicht versucht.
Luther klingt manchmal sogar so, als ob er von unserer Situation mit Corona schreibt :-D:
Hat nun Gott selbst im Alten Testament (3. Mose 13 ff.) befohlen, die Aussätzigen aus der Gemeinde zu tun und (sie) außen vor der Stadt wohnen zu lassen, um die Ansteckung zu vermeiden, so sollten wir ja vielmehr ebenso bei dieser gefährlichen Krankheit tun, so dass, wo sie jemand kriegt, er sich alsbald selbst von den Menschen absondere oder absondern lasse und flugs mit Arznei Hilfe gesucht (werde).
Ich möchte euch ermutigen die alten Werke unserer Glaubensväter zu lesen. Manchmal öffnen Sie uns Horizonte und decken blinde Flecken unserer Zeit auf…
Hier geht es zu Teil 1: Von Luthers Umgang mit der Pest lernen
Gerade in der jetzigen Situation doch recht gute Ansätze. Sehr interessant. Nur leider ist diese Art von Bewusstsein / Bewusstwerdung vielen fremd.